Die Türkei – oder: das Land der gast-FREUNDLICHen Menschen

Unsere Reise in die Türkei beginnt mit einer 20-minütigen Fährüberfahrt von der wunderschönen kleinen griechischen Insel Kastellorizo nach Kaş am südwestlichen Zipfel des Festlandes. Der Plan ist, an der Westküste gen Norden nach Istanbul zu fahren, mit einem Abstecher nach Pamukkale, den schneeweißen Kalk-Sinterterrassen, die jeden türkischen Reiseführer zieren. Von dort aus geht es weiter Richtung Kappadokien und anschließend wieder hoch in den Norden an die Schwarzmeerküste, um von dort nach Georgien radelnd das Land zu verlassen. Soweit und auch nur so grob der Plan.

Die Ankunft in Kaş ist sehr herzlich. Wir müssen unsere Pässe zum Stempeln abgeben und erhalten diese nach ein paar Minuten Wartezeit mit einem Lächeln zurück. Der Kapitän und die Crew verabschieden sich von uns und wünschen uns eine schöne Reise durch die Türkei. Wir füllen unsere Wasservorräte auf, erkunden ein wenig die Stadt und machen unseren ersten Obst- und Gemüseeinkauf auf unserem ersten türkischen Markt (in der Türkei). Es werden alle möglichen Obst- und Gemüsesorten sowie Oliven verschiedenster Qualität in großen Fässern feilgeboten. Wir lernen schnell, dass in der Türkei Lebensmittel bevorzugt in großen Mengen verkauft werden, sodass nur 2 Äpfel selten ein gutes Geschäft sind. Kein Problem, wir haben große Packtaschen und stabile Gepäckträger vorn und hinten am Rad. Dann kaufen wir von nun an einfach immer etwas mehr. Bei der anschließenden Besichtigung des Amphietheaters stellen wir fest: im Unterholz rundherum gibt es einige Jugendliche, die dort zu zelten scheinen. Da es gerade dunkel wird, kommt uns das nur gelegen und so schlagen auch wir unser Zelt einfach direkt neben dem noch rege besuchten Amphietheater auf.

Unsere Strecke nach Fethiye ist eine neugebaute Straße mit vielen Kurven direkt am Meer entlang, auf den die Räder trotz vieler Hügel nur so fliegen. Sie führt uns am nächsten Tag am breitesten und längsten Strand der Türkei vorbei (16 km lang), welcher sich bei Patara befindet. Wir zelten eine Nacht hoch oben auf den Dünen, von denen man mehr als eine halbe Stunde bis hinunter ans Meer braucht. Am nächsten Tag schauen wir uns die gut erhaltenen Ruinen von Patara an und ziehen zum Schildkrötenstrand ein paar Kilometer weiter. Einer der wenigen Orte im Mittelmeer, wo die bedrohten Caretta-Meeresschildkröten zum Eierlegen an Land kommen. Diese schlüpfen etwa 50 Tage später bei Vollmond und krabbeln um ihr Leben Richtung Meer. Deswegen sind die Strände nur am Tag für Besucher zugänglich. Regen ist vorausgesagt und wir haben Glück: am Rand gibt es verlassene Fischerhütten mit überdachter Veranda. So können wir die nächsten zwei Tage voller schwerer Unwetter mit Blitz und Dauerregen gut überstehen.

Weiter geht es zur Saklikent Schlucht, einem extrem tiefen Canyon und zu einem Wasserfall in der Nähe. Barfuß waten wir entlang des Flussbettes durch grauen Schlamm, der sich schmatzend samtig durch die Zehenzwischenräume quetscht. Ein Spaß für uns Schmutzspatzen.

In Fethiye entscheiden wir uns, einen Abstecher zum Schmetterlingstal zu machen. Als wir uns auf den Weg zum verlassenen griechischen Dorf Kayaköy machen, bereuen wir diese Entscheidung schon ein wenig. Der Berg ist wahnsinnig steil. Mit dem Gepäck nahezu unbezwingbar. Doch ein vorbeiradelnder Türke auf seinem Elektrorad spricht uns Respekt zu. Und auch als wir nach Ölüdeniz (der Horror-Touristenhölle schlechthin) den Berg hinunterrollen, überkommt uns das ganz ungute Gefühl, diese Strecke auf dem Rückweg noch einmal andersherum fahren zu müssen. Doch erst einmal geht es weiter Richtung Schmetterlingstal zum Ort Faralya. Die hereinbrechende Nacht senkt ein wenig die Temperaturen und wir möchten zu gerne den Anstieg hinter uns bringen. So treten wir uns und die Räder mit all ihrem Gepäck in der Dunkelheit mehrere steile Serpentinen und 300 Höhenmeter den Berg hinauf. In der Ferne glitzern die Lichter der Touristenhölle. Schweiß gebadet, aber glücklich kommen wir oben auf einer Klippe an und übernachten neben einer Wasserquelle in der Nähe der Straße. Am nächsten Morgen parken wir unsere bepackten Räder bei einer Pension und wandern nur mit einem Rucksack den Weg ins Tal hinunter (und später wieder hinauf). Über Seile geht es entlang der steilen Felswände in ein grünes Paradies mit Wasserfall, den man ein Stück weit hinaufklettern kann. Überall stehen Schilder herum, dass dieser Weg lebensgefährlich sei und entsprechendes Schuhwerk notwendig ist. Entsprechend menschleer folgen wir dem Pfad und freuen uns über die Idylle. Doch von Schmetterlingen ist weit und breit keine Spur. Mit Glück erspähen wir ganze 3 Stück. Als wir uns gegen Mittag dem kleinen Strand nähern, kommen uns auf einmal urplötzlich riesige Menschenmassen entgegen. Die Bucht ist ein beliebtes Tagesausflugsziel. Unzählige große Segelboote im Stil von Fluch der Karibik mit lauter, schlechter Animationsmusik speien hunderte Touristen an den Strand. Kein Wunder, dass da die Schmetterlinge Reißaus genommen haben. Schade um diesen wunderschönen Ort, der durch den Tourismus so kaputt gemacht wird.

Auf dem Rückweg nach Fethiye versuchen wir in Ölüdeniz einen Laster oder Pick-up anzuhalten und so den tödlichen Anstieg zu vermeiden. Eine knappe Stunde warten wir, doch anscheinend soll es nicht so sein, sodass wir uns gezwungenermaßen beweisen müssen in der Lage zu sein, auch solche unmenschlichen Anstiege von bis zu 33 % zu meistern. Ganze 5 Pausen und 200 Höhenmeter später haben wir es endlich geschafft. Es war und sollte der bisher steilste Anstieg unserer ganzen bisherigen Radreise sein.

Zurück in der großen Stadt treffen wir noch auf ein befreundetes Tandempärchen. Wir haben die beiden Argentinier bereits in Griechenland bei einem Warm-Showers Host in Athen kennen gelernt. (Warm Showers ist eine Online-Schlafplatz Community für Radreisende und immer wieder eine angenehme Sache, um eine warme Dusche und einen Schlafplatz zu finden, sowie tiefer in die Landeskultur einzutauchen.) Nun freuen wir uns riesig, die beiden wiederzusehen. Sie sind während der Reise ein Teil unserer kleinen Radreise-Familie geworden und es wächst eine tolle Freundschaft daraus. Es ist schön, andere Radreisende zu treffen. Oft haben sie gute Empfehlungen für Routen und es macht Spaß über die Herausforderungen des Fahrradreise-Alltags zu fachsimpeln und den ein oder anderen guten Tipp auszutauschen. Unsere Route führt uns jedoch leider vorerst in die entgegengesetzte Richtung, weshalb wir über’s Handy in Kontakt bleiben und uns für ein weiteres Land, den Iran, zu einem Wiedersehen verabreden.

Um unser weiteres Ziel, die Kalksinterterrassen von Pamukkale zu erreichen, müssen wir weitere sehr steile Berge bezwingen. Die Straßen der Türkei sind oft, trotz gutem Asphalt, sehr direkt gebaut. Nachdem wir in Griechenland mit leichten Anstiegen verwöhnt wurden, sind die Etappen dieser Strecke so anstrengend, dass Anja nahezu die Lust verliert, überhaupt noch weiterzufahren. Aber aufgeben gibt es nicht! Ein kleiner Lichtblick ist eine türkische Familie, die uns am späten Nachmittag ein paar Leckereien von ihrem Picknick zur Stärkung schenkt. Und weiter treten wir gemächlich insgesamt 3.560 Höhenmeter die Berge herauf. Beim Reiseradeln machen meist weniger die Distanzen Probleme, sondern vielmehr längere Anstiege von mehr als 10%. Diese sind stets eine willkommene Herausforderung für Körper und Geist. Nachdem man den anfänglichen Schweinehund überwunden hat, tritt man sich regelrecht tranceartig im Gleichtakt der Pedalen die Berge herauf, spürt jeden Muskel seiner Beine, die Masse des Fahrrads und allen Gepäcks und driftet immer wieder in Gedanken zu schönen Orten und Momenten ab. Mantra-artig beten wir Lieder im Kopf vor uns hin. Es gleicht dem Gefühl einer Meditation. Oben ankommen ist man überglücklich und wird oft mit einem herrlichen Ausblick belohnt. Da es in den Bergen abends kühl ist, füllen wir an einer Moschee noch einen Kanister mit heißem Wasser und freuen uns schon auf die warme Flaschendusche.

Es ist ein herrliches Gefühl, endlich bergab nach Denizli zu rollen und zu wissen, dass wir es geschafft haben! Der Abend in Pamukkale ist sehr verregnet, deshalb kochen wir dieses Mal einfach unter einem Vordach eines geschlossenen Ladens mitten in der Stadt, neben Restaurants und Hotels – zur größten Verwunderung aller Touristen und Einheimischen um uns herum. Die Nacht vor unserem Besuch der Ruinen und Kalkterrassen verbringen wir fast direkt vor dem Westeingang. Praktisch, denn so müssen wir morgens nur eine Minute radeln, bevor wir den Ort noch vor dem Touristenansturm erkunden können. Die bepackten Fahrräder müssen wir draußen parken, doch der Eingang scheint uns nahezu unbenutzt und wird auch videoüberwacht, weshalb wir nur die größten Wertsachen in einen unserer Rucksäcke packen und auf Entdeckungstour gehen.

Am späten Nachmittag besichtigen wir noch die heißen Quellen in Karahayit, das Pamukkale der lokalen Bevölkerung. Der kleine Ort ist so charmant; wir decken uns noch mit Frischwaren vom Markt ein, probieren hier und dort eine Leckerei und gehen schmackhaften Gözleme mit Spinat essen, eine Art türkischer herzhafter Pfannkuchen. In den heißen Quellen wässern wir im Sonnenuntergang unsere Füße und halten nebenbei noch den ein oder anderen Plausch mit interessierten Menschen. Überall in der Türkei bekommen wir Beifall von Passanten, dass wir ihr Land mit dem Rad bereisen, Autos hupen uns oft sogar mehrfach freudig zu. Ab und zu treffen wir deutschsprechende Menschen, die gar nicht fassen können, dass wir den ganzen Weg von Deutschland bis in die Türkei schon mit dem Rad zurückgelegt haben.

Unser nächstes großes Ziel ist Izmir. Tagelang fahren wir entlang einer Hauptverkehrsstraße. Ganz schön ätzend und langweilig. Aber die Straße ist zum Glück flach und rollt recht gut. Noch dazu müssen wir einen Tag Pause einlegen, um eine akute Magen-Darm-Infektion auszukurieren.

Ein Lichtblick sind die Ruinen von Efes, welche wirklich beeindruckend sind, da ein österreichisches Team an Archäologen eine Menge dafür getan hat, die alten Gebäude zu rekonstruieren. Auf dem Weg zum anvisierten Schlafplatz am Strand fahren wir an einigen Hochzeitsshootings vorbei. Am Meer angekommen, gibt es noch 5 weitere solcher Fotosessions. Wir fragen uns wirklich, wie oft sich die Türken vermählen und scheiden lassen und wieder neu heiraten, bei diesem hohen Hochzeitsaufkommen.

In Izmir haben wir über Warm Showers eine Übernachtungsmöglichkeit für zwei, drei Tage organisiert und freuen uns darauf, mal wieder unsere dreckige Wäsche in eine Waschmaschine zu stecken und sich ohne Gepäck durch die Gassen der großen Stadt treiben zu lassen. Wir genießen die vielen frischgepressten Säfte und futtern hier und da an der Straße die ein oder andere Süßigkeit, z.B. Halva oder Baklava. Im Stadtteil Basmane finden wir sogar einen Araber, wo wir uns Hummus und Falafel schmecken lassen. Eine willkommene Abwechslung zu Brot mit scharfer Frühstückspaste oder Auberginenaufstrich, da der weit verbreitete fleischhaltige Kebab nicht ganz auf unserer Speisekarte steht. Das leckere vegane türkische Essen, das wir von zu Hause in Berlin kennen, ist, mit Ausnahme von Cig Köfte, leider hier nicht auf den Straßen zu bekommen.

Auf dem Weg nach Istanbul statten wir Bergama noch einen Besuch ab. An der Seilbahnstation parken wir die Räder und wandern den Berg hinauf. Hinunter geht es mit der Seilbahn, juhu! Anja freut sich schon die ganze Reise darauf endlich mal mit der Seilbahn zu fahren. Nun haben wir es endlich geschafft.

Da wir in diesen Tagen nur an einer großen Hauptverkehrsstraße entlang fahren, fragen wir kurzerhand an Tankstellen nach einem Zeltplatz auf der Wiese. Wir dürfen schließlich sogar in ungenutzten Räumen unser Nachtlager aufbauen und sparen so das Zelt und sind im Warmen. Die türkische Gastfreundschaft ist wirklich außergewöhnlich. Da könnte so manche Kultur noch einiges lernen. Überall bekommen wir Çay angeboten, müssen aber leider meistens ablehnen, da wir nach koffeinhaltigem Tee am Abend einfach nicht schlafen können. Sind beide leider einfach keine Kaffeetrinker.

Da die Straßen nicht viel versprechen und wir uns auf ein baldiges Konzert in Istanbul freuen, nehmen wir für das letzte Stück den Zug von Soma nach Bandirma und von dort aus die Fähre. Die riesige Stadt verschlingt uns für ein paar Tage. Die schönsten Moscheen des Landes mit filigranen Mustern, die die Wände und Decken zieren, wollen von uns bestaunt werden. Insgesamt findet man in der ganzen Türkei viele zum Teil recht neugebaute Moscheen in deren Gebäude manchmal sogar Supermarkt oder ähnliches integriert sind und so gewöhnen wir uns recht schnell daran, dass der Muezzin mehrmals am Tag zum Gebet ruft. Lustigerweise scheint dies aber in der Türkei die Bevölkerung nicht so recht zu interessieren und so beobachten wir kein einziges Mal, dass sich jemand Richtung Mekka ausrichtet, geschweige denn, einen Teppich dabei hat. Wir nehmen an, dass es die Türken ähnlich mit dem Islam halten, wie die deutschen mit dem Christentum. Schließlich gibt es auch eigene türkische Alkohole und Biersorten. Raki, das türkische Pendant zum griechischen Uozo, dürfen wir zu einem traditionellen Çilingir Sofrası bei unseren Gastgebern in Istanbul genießen. „Çilingir“ erklären sie uns, bedeutet so viel wie „Türöffner“, gleich einem Schlüsseldienst (damit ist der Raki gemeint), der im übertragenen Sinne die Münder und Herzen öffnet. Es ist eine Art Zeremonie mit viel leckerem Essen und natürlich viel Raki.

Nach nicht zu wenig Bestechungsgeld für unser Übergepäck finden wir uns im Bus zum Salzsee (Tuz Gölü) wieder. Da uns der Winter im Nacken sitzt und die Türkei recht groß ist, wir aber möglichst viel sehen wollen, durchqueren wir das Land im Zickzack, wobei wir die ein oder andere Passagen mit dem Zug, der Fähre oder dem Bus überspringen. Wir haben den kristallübersäten Salzsee ganz für uns allein und zelten sogar eine Nacht direkt auf dem See. Als wir weiter wollen, fährt Gnubbi, mit den Augen in der Schaltung vertieft, auf einem schnurgeraden Highway über einen alten herumliegenden LKW-Reifen und stürzt. Sofort erscheinen ungerufen zwei Krankenwagen und zwei Polizeiautos und eskortieren uns samt Rädern ins nächste Krankenhaus. Laut Röntgenbild ist nichts gebrochen und so können wir glücklicherweise am nächsten Tag vorsichtig weiterfahren.

Als wir in Kappadokien ankommen, sind die Nächte bereits eisig und unsere dicken Sachen, die wir seit Deutschland in unseren Packtaschen mitschleppen, kommen endlich zum Einsatz. Anja’s Füße brauchen leider trotzdem die halbe Nacht, um warm zu werden. Eine Wärmflasche muss bald her. Die Temperaturen liegen nachts mittlerweile unter dem Gefrierpunkt. Doch der Morgen entschädigt für all die Kälte der vergangenen Stunden: hunderte von Heißluftballons steigen aus dem vor uns liegenden Tal empor und einige fliegen sogar direkt an unserem Zelt vorbei. Welch ein magischer Moment.

Nachdem wir ein paar Tage die Umgebung zu Fuß erkundet haben, nehmen wir von Kayseri den Nachtzug Richtung Erzurum, steigen aber eine Station vorher in Aşkale aus. Von dort wollen wir über die Berge an die Schwarzmeerküste fahren. Die Temperaturen sinken nachts Anfang November bei einer Höhe von 2.000 Metern immer tiefer. Eingepackt in all unsere warmen Sachen krabbeln wir in unsere Schlafsäcke. Doch nicht die Kälte hält uns die halbe Nacht wach, sondern kleine Mäuse, die von unserer Wärme und unseren Essenvorräten profitieren möchten. Immer wieder tippeln sie über unser Innenzelt und rascheln umher, wollen sich einfach nicht verscheuchen lassen. Am nächsten Morgen glitzert unser Zelt in der aufgehenden Sonne; es ist mit Rauhreif überzogen. Ein kurzer Check unserer Vorräte zeigt: eine Gummidichtung unserer Topfdeckel hat den Mäusen geschmeckt. Aber das Beste ist, wir haben nicht gefroren.

Unser nächstes Tagesziel ist ein letzter Pass in den Bergen, bevor es nur noch bergab bis zum Schwarzen Meer gehen soll. Der Anstieg ist wieder steil und die Straße verwandelt sich alsbald in eine matschige Piste. Stundenlang treten wir uns immer höher und schauen bald 1.200 Meter auf die Hochebene hinab von der wir kommen. Auf einer Höhe von 2.500 Metern passieren wir dick eingehüllt und schnaufend endlich den Pass und werden mit schneebedeckten Bergen, verlassenen Dörfern und unberührter Natur belohnt. Die Häuser und Moscheen stehen geisterhaft in einer Landschaft aus weißen Bergspitzen. Wir sind umgeben von Schnee und können unser Glück kaum fassen. Wir sind sogar über den Wolken. So magisch! Da vergessen wir schnell, dass es wieder einmal mehrere kurze Abschnitte gab, an denen wir nur mit viel Kraft zu zweit die Räder den Berg hochschieben mussten. Es bleibt aber leider nur wenig Zeit für Pausen, um nicht zu stark auszukühlen und die Nacht bricht auch langsam herein. Als wir die lange, umso steilere Abfahrt ins Tal mit eingeschalteten Scheinwerfern hinunterrollen, man müsste eigentlich „hinunter bremsen“ sagen, hat Gnubbi auch noch kurz vor dem Ziel einen Platten. Vermutlich wurden die Felgen durch die Bremsen zu heiß, so dass der Schlauch direkt am Ventil aufreißt. Shit happens! Aber zum Glück ist er schnell ersetzt und wir können das restliche Stück zu unserem Zielort Uzungöl weiterrollen. Am Ende des Tages zeigt unser Fahrradcomputer eine reine Fahrtzeit von 7,5 Stunden. Neuer Rekord für uns. Die Tage sind mittlerweile nur noch etwa 10 Stunden lang von Sonnenauf- bis -untergang. Wir fallen total erschöpft, aber überglücklich in unser Bett, dass wir uns in einem Apartment gegönnt haben.

Der Ort Uzungöl wird als die Schweiz der Türkei bezeichnet. Er liegt in einem Tal an einem kleinen Bergsee, dem Uzungöl (Langer See) und ist umschlossen von über 1.000 Meter hohen, sehr steilen Hängen, die von dichten Nadel- und Laubwäldern bewachsen sind. Wir bleiben ein paar Nächte in der Unterkunft am See und erleben einen Wintereinbruch. Es schneit zwei Tage lang ununterbrochen, wodurch das gesamte Dorf in eine dicke weiße Decke gehüllt wird und wir uns ein wenig Sorgen machen, ob wir am nächsten Tag überhaupt noch mit unseren Rädern wegkommen.

Doch der Weg zum Schwarzen Meer führt bergab, weshalb wir schon bald unsere Pullis ausziehen und uns die wärmende Sonne auf die Haut scheinen lassen können. Die schneebedeckten Berge werden ausgetauscht gegen grüne Tee-bewachsene Hügel und tropisch-tropfende Lianen am Straßenrand. An allen Stellen schießen Wasserfälle von Bergen.

Angekommen in Rize am Schwarzen Meer, der Heimatstadt von Erdogan, machen wir eine ganz wunderbare Erfahrung türkischer Gastfreundschaft: Wir übernachten bei Mustafa, einem Teehaus-Besitzer, der gern Radreisende zu sich einlädt. Er empfängt und umsorgt uns so herzlich, wie wir uns die türkische Gastfreundschaft eigentlich die ganze Zeit vom Hören-Sagen vorgestellt hatten. Doch bisher waren uns die Menschen nie wirklich auf diese Art und Weise begegnet. Obwohl er kein Wort Englisch spricht, versuchen wir uns mittels Übersetzer im Handy so gut wie nur möglich zu verständigen und auszutauschen. Es macht uns auch sehr viel Spaß, das Treiben im Teehaus zu beobachten: Schon früh morgens kommen die ersten alten Männer und lösen bei einem Çay Kreuzworträtsel oder spielen Karten. Viele Fragen uns über unsere Herkunft, was wir in der Türkei schon gesehen haben und wo es hingehen soll. Da Gnubbi durch seinen Unfall mit seinem Arm immer noch Probleme hat, bringt uns Mustafa und seine Freunde zu einem befreundeten Arzt, der uns nochmals ins Krankenhaus schickt. Nach einem erneuten Röntgenbild ist nun ersichtlich, der Arm ist doch gebrochen. Uns, sowie dem Arzt ist lachend nicht ganz klar, wie wir mit dem Arm noch 2 Wochen Fahrrad fahren konnten. Aber egal, jetzt kommt erst einmal ein Gips drum und der Heilung steht nichts mehr im Wege. Als wir nach zwei Tagen im Teehaus abreisen, machen wir alle noch eine Riesen-Selfie-Session und  passieren in Sarp schließlich die Landesgrenze.

Wir verlassen die Türkei mit einem wohlig-warmen Gefühl und die Taschen sind voll mit Zuversicht ein neues uns unbekanntes Land zu entdecken. Georgien, wir kommen.

Insgesamt haben wir vom 28.09. bis zum 18.11.2018, also an 52 Tagen die Türkei im Zickzack durchquert und dabei mit dem Rad etwa 1.800 Kilometer zurückgelegt.

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