Unterwegs mit COVID-19 im Reisepass

 

Dies ist Teil 1 der Trilogie über unsere Flucht vor dem Coronavirus und seinen Auswirkungen in Südostasien. Im 1. Teil führt unsere Reise von China nach Vietnam, von wo wir im 2. Teil nach Laos entfliehen und es schlussendlich im 3. Teil gerade noch nach Thailand schaffen.

Erster Teil der Trilogie: Corona immer eine Kettenlänge voraus

Es ist 22:42 Uhr und das Telefon klingelt. – Ah Mutti. Na gut, mal wieder Zeit sozial zu sein. –

… „Was nicht alles zu Hause passiert.“
… „Ah ja, Wetter ist schön.“
… „Nee Regen, na gut.“
… „Ja, bei uns ist es schon Mitten in der Nacht und bei euch erst Nachmittag.“
… „Joop, sind jetzt wieder in China und radeln fleißig.“
… „Ach so, in der Tagesschau wurde etwas von einem neuen Virus berichtet.“
… „Wie soll es heißen?“
… „Corona? – Ist das nicht der Sonnenkranz?“
… „Nein, nicht bei uns. China ist riesig, Mutti. Fast genauso groß wie ganz Europa.“
… „Wo?“
… „In Wuhan? Dort sind wir nicht. Ist vermutlich mehrere tausend Kilometer entfernt. Wir sind von Shanghai, über Guilin nach Shangri-La gefahren und jetzt auf dem Weg nach Kunming.“

So hatten wir Anfang/Mitte Januar das erste Mal vom Coronavirus erfahren und uns nichts weiter gedacht, wie die meisten Menschen auf der Welt. Viele Viruserkrankungen werden häufig vom Tier auf den Menschen durch den Konsum von Fleisch und der Tierzucht übertragen.
– Wird uns schon nicht wirklich betreffen. –

Knapp eine Woche später informieren uns unsere Eltern erneut, dass China anfängt die Stadt Wuhan in der Provinz Hubei abzusperren.

„Ja, mal keinen Stress. China ist sehr streng im Umsetzen von Maßnahmen und dem Einhalten von Regeln, wie wir am eigenen Leib erfahren haben. Bei uns ist alles ganz normal, hier ist nichts abgesperrt.“

Zeitungsartikel von Mutti

Wir radeln Mitte Januar fröhlich weiter und denken uns nichts dabei.

Am letzten Radfahrtag vor der chinesischen/vietnamesischen Grenze entdecken wir seit langem wieder eine Straßenkontrolle in China. Diese Kontrollen sind in grenznahen Regionen des Landes recht üblich und so rollen wir zuversichtlich auf sie zu.

– Doch diese Kontrolle scheint ein wenig anders zu sein. Die Polizisten halten den Fahrern ein Gerät ins Gesicht. Vermutlich ein Alkoholtest, da gestern Lunar-Neujahr (Chinese New Year) gewesen ist und die Bevölkerung ein Alkohol-fröhliches Volk sein könnte, wie die meisten Deutschen. Aber nein, nun kontrollieren sie auch noch den Alkoholgehalt der restlichen Insassen im Auto, sogar von Kindern? … Das kann nicht sein… Ah, es sind moderne Infrarot-Fieberthermometer, die an die Stirn gehalten werden! Und nun sind auch wir dran. –

So haben wir unsere erste Temperaturmessung aufgrund von Corona fröhlich und leicht belustigt über uns ergehen lassen. Einen Tag später folgte bereits eine zweite Messung und schon verlassen wir China am 26.01.2020 am Grenzübergang mit seiner Brücke der Freundschaft (Friendship Bridge) über den Roten Fluss in Hekou/Lao Cai. Wir wundern uns noch ein wenig, warum der Grenzübergang so extrem leer ist, schieben es aber mittlerweile schon auf den Corona-Status und freuen uns wenig Stress zu haben.

Uns hat China mit seinen angenehmen Menschen, seiner Vielfalt und seiner extrem schönen Natur zum Radreisen sehr gut gefallen und so schauen wir mit einem tränenden und einem lachenden Auge zurück auf unsere Zeit. Nun haben wir das Land des Coronavirus hinter uns gelassen und die Räder sollten nun ohne weitere Komplikationen unbeschwert weiter rollen.

Vietnam, ein neues Kapitel?

Angekommen auf vietnamesischer Seite bekommen wir unsere ersten Atemmasken geschenkt, die wir sofort tragen sollen. Unbedingt auch die Hände mehrfach desinfizieren und dann ein Formular unterschreiben, dass wir in den letzten Wochen nicht in Wuhan gewesen sind und keine Krankheitssymptome haben.
– Nichts leichter als das. –

Das Tragen von Mundschutz ist im fernen Asien, sowie Südostasien ein normaler Bestandteil des Alltags. Je nach Situation und Ansammlung versuchen die Menschen so Krankheitsübertragungen zum Teil recht erfolgreich zu vermeiden. Im Straßenverkehr ist es nahezu üblicher einen Mundschutz als einen Helm zu tragen. In Hinsicht dieser Gewohnheiten und Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber dem Tragen von Atemmasken sind diese Länder den meisten Staaten der Welt um einiges voraus.

Witzigerweise haben auf chinesischer Seite zu dieser Zeit nur wenige Beamte an der Grenze einen Mundschutz getragen, wohingegen auf der anderen Seite der Brücke in Vietnam von den Beamten penibel auf Atemmasken und Handdesinfektion geachtet wird. Nach Verlassen des Grenzgebäudes ist wieder alles ganz normal, es werden nur vereinzelt und nicht von jedem Atemmasken getragen, ähnlich wie in China.

Knapp eine Woche später erfahren wir, dass unser Grenzübergang vermutlich nur 4 Tage nach Passieren von uns wegen Corona geschlossen wurde.
– Hui nochmal Glück gehabt. –

Die Situation in China scheint sich rasant zuzuspitzen. Doch im Norden von Vietnam merken wir recht wenig von den Auswirkungen der Coronakrise. Mal hält ein Autofahrer an und schenkt uns Atemmasken, damit wir sie beim Rad fahren zum Schutz tragen können, was uns aber bei Bergen unmöglich erscheint.

Es ist Regenzeit und die Sonne lässt sich nur noch einmal pro die Woche blicken. Die Unterkunftspreise des Landes sind recht günstig, weshalb wir uns ab und zu einen trockenen Raum zum Schlafen gönnen. Eines Tages erklärt uns ein Gasthausbesitzer beim Einchecken mitten in der Nacht in wenigen Fetzen Englisch, dass er gerne mit unseren Pässen wegfahren und gleich wiederkommen möchte. Wir sind verunsichert, ob es ein Verständigungsproblem ist, erinnern ihn aber lieb daran, dass die Pässe uns gehören und hier bleiben. Der Besitzer gibt sofort nach und wir gehen erschöpft aber glücklich ins Bett.

Coronawellen, die auch in Vietnam zu spüren sind

Angekommen an der Nord-Ost-Küste Vietnams merken wir nun das Ausbleiben der chinesischen Touristen deutlich und viele Gasthäuser stehen leer. In einem unserer nächsten Hotels blättert die Besitzerin in unseren Reisepässen und entdeckt unser China Visum. Sofort holt sie Einweg-Handschuhe heraus, setzt eine Atemmaske auf, und hält unsere Reisepässe mit angewidertem, beängstigten Blick und mit ausgestreckten Armen weit von sich, als würde der Pass höchst persönlich den Coronavirus tragen. Sie blättert für mehrere Minuten unaufhörlich in den Reisepässen hin und her, als ginge das China Visum weg, wenn sie nur oft genug umblättern würde. Knapp eine Stunde später bekommen wir Besuch von der örtlichen Polizei. Vier Beamte setzen sich im Kreis um uns herum. Es wird vom medizinischen Personal Fieber gemessen und wir müssen unseren ganzen Werdegang seit Dezember rezitieren, damit er ganz genau mit Stift und Papier protokolliert werden kann. Die Polizei bleibt dabei die ganze Zeit sehr höflich und betont des Öfteren, dass wir nichts zu befürchten haben. Es diene nur als Sicherheitsvorkehrung, da wir ja schließlich aus dem ach so gefährlichen China kommen. – Obwohl es mittlerweile schon 2 Wochen her ist. – Nach einer Stunde sind sie zufrieden, verabschieden sich von uns und wir haben endlich unsere Ruhe. Dieser Prozess wiederholt sich in den nächsten Tagen noch ein zweites Mal in einem anderen kleinen provinziellen Dorf.

Fiebermessen bei uns auf dem Zimmer

Die Stimmung ändert sich und mit ihr unsere Taktik

Damit wir nicht fortlaufend abends nach Ankunft zu immer denselben Fragen der verunsicherten Dorfpolizisten eine Stunde Rede und Antwort stehen müssen, planen wir für die Zukunft unseren Zweitpass beim Check-in abzugeben.

Doch schon leider bei der nächsten Unterkunft, dem „Friendly Homestay 1“, bei der wir nach einem langen Radeltag ohne Reservierung auftauchen, schaffen wir es nicht einmal den Pass vorzuzeigen. Die komplette Anlage mit Pool und Bungalows ist leer. Ohne chinesische Touristen und mit der vorherrschenden Regenzeit befinden wir uns in der absoluten Nebensaison. Schon bei der Ankunft werden wir sehr höflich empfangen und gefragt, ob wir eine Reservierung haben. Wir verneinen dies. Daraufhin schaut uns die junge Frau voller Mitleid an und meint, ihr Resort sei komplett ausgebucht. Wir öffnen auf unserem Smartphone die Seite, auf der wir jede Menge leere Räume in ihrem Resort online gefunden haben. Daraufhin, geht sie zu ihrem Computer, sperrt in allen möglichen Online-Plattformen die freien Zimmer für die nächsten 2 Tage und behauptet, es sei leider doch schon komplett ausgebucht. Vietnamesische Gäste würden dann später noch ankommen. Wir sollten doch nochmal aktualisieren und genau hinschauen. Wir sind etwas perplex über dieses Vorgehen und ziehen aufgebracht ab. Aus Trotz zelten wir direkt vor dem Eingang des Anwesens. Kein einziges Auto verirrt sich mehr in dieser Nacht in das leerstehende Resort.

Das nicht ganz so freundliche "Friendly Homestay 1"
Zelten vor dem nicht ganz so freundlichen „Friendly Homestay 1“

Immer wieder zeigen uns einheimische Passanten am Wegesrand mit dem Vorhalten ihrer Hand, sobald sie uns entdecken, dass sie Angst vor einer Coronaübertragung durch uns haben. Meistens tragen sie aber sowieso schon eine Mundschutzmaske.

Noch wollen wir nicht ganz die Flinte ins Korn werfen und geben uns innerhalb der nächsten regenreichen Tage eine letzte Chance. Diesmal wählen wir eine x-beliebige Trucker-Unterkunft direkt an der Straße. Die Frau des Hauses zeigt uns ein recht einfaches Zimmer, aber wir stimmen nach kurzen Überlegungen zu. Gerade als wir die Sachen vom Fahrrad ins Zimmer tragen wollen, kommt ihr Mann nach Hause und erklärt, es tue ihm leid, aber die Unterkunft mit den vielen offenen leerstehenden Zimmer sei ausgebucht. Diesmal sind wir nicht mehr so überrascht und ziehen einfach ohne viel Diskussion weiter. Ohne unsere Herkunft überhaupt zu überprüfen, scheint aufgrund der vietnamesischen Propaganda und Berichterstattung ein Großteil der Bevölkerung in Achtstellung gegenüber jedweden Ausländer gegangen zu sein. Zu dieser Zeit sind nahezu noch keine Infizierungen mit Corona außerhalb von China vermerkt worden.

Fortan haben wir, mit einer Ausnahme, nicht mehr versucht in Vietnam eine bezahlbare Unterkunft aufzusuchen. Unsere Vorsicht diesbezüglich kam aber auch daher, dass andere Radreisende nur mit viel Nachdruck einer polizeilichen Quarantäne entkommen waren. Zum Glück wurde mit dem Voranschreiten in Richtung Süden auch das Wetter immer sonniger und wir waren nicht mehr darauf angewiesen.

Nach 26 Tagen verlassen wir Vietnam bei dem stärksten Regenguss unserer Fahrradweltreise (und des Lebens) über den Grenzpass in Nam Phao. So wirklich willkommen hatten wir uns in Vietnam nicht mehr gefühlt, was aber den Umständen entsprechend auch verständlich ist.


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